Unsere Vergangenheit gibt uns idealerweise Sicherheit. Sie kann uns aber auch behindern:
Wenn wir rückwärts gehen weil wir die Vergangenheit im Blick haben stolpern wir im Jetzt.
Wie Vergangenheit blockiert
Ein 90-jähriger Bekannter verurteilt sich für Entscheidungen aus seiner Jugend. Er leidet sehr unter seinen Schuldgefühlen. Das zieht sich durch sein ganzes Leben. An ihm sehe ich, dass wir oft unsere schlimmsten Richter sind.
Aufräumen in der Vergangenheit macht den Weg frei für das Jetzt
Eine Klientin versucht Dinge im Jetzt zu verändern und stolpert dabei immer wieder über ihre Altlasten.
Jetzt räumt sie sukzessive ihren Weg frei von ihren Stolpersteinen. Sie hat schnell gemerkt, dass sie auf dem richtigen Weg war: Sie konnte Situationen bewältigen, denen sie vorher nicht gewachsen war.
Wir erschaffen immer wieder das Gleiche wenn wir das Gleiche fühlen und tun
Unsere Gedanken sind durch unsere Vergangenheit fest mit Gefühlen verbunden und erschaffen so einen Fokus, der uns automatisch immer wieder in ähnliche Situationen bringt.
Beispiel: Männer mit Bart sind Dir unsympathisch
- Dein Vater hatte einen Bart
- Er hat Dich als Kind misshandelt
- Diese Assoziation hat sich festgesetzt
- Immer wenn Du einen Mann mit Bart siehst reagierst Du deswegen mit Abwehr
Erst wenn Du Dir bewusst wirst, was abläuft, kannst Du es verändern.
Verletzungen gehören zum Leben dazu
Unsere Vergangenheit lässt sich nicht ausradieren. Sie ist ein Teil von uns und eine Ressource, die wir nutzen können.
Verdrängung ist keine Lösung
Unsere Vergangenheit zu verdrängen ist eine verständliche Schutzreaktion, hilft aber nicht weiter. Es gibt Ausnahmen: Ich habe eine Klientin, für die es momentan besser ist ihre Kindheit außen vor zu lassen. Das haben wir gemeinsam herausgearbeitet.
Bei vielen von uns gärt das Ungelöste im Untergrund und das kann langfristig zu körperlichen und psychischen Problemen führen.
Früher oder später präsentieren wir uns Themen aus unserer Vergangenheit. Dann ist es Zeit sich mit ihnen auseinandersetzen.
Vergangenheitsbewältigung, aber wie?
Professionelle Hilfe ist angeraten, wenn wir starke körperliche und seelische Verletzungen davongetragen haben. Uns dem alleine zu stellen ist keine gute Idee.
Psychische Erkrankungen nehmen zu
Vielen psychischen Problemen liegen Traumata aus der Vergangenheit zugrunde.
Jedes Jahr sind 27% aller Deutschen von einer psychischen Erkrankung betroffen. Das sind 17,8 Millionen: In Deutschland erleben 25% in ihrem Leben eine Depression und 26% eine Angststörung.
Die Betroffenen müssen viel mehr Verantwortung für ihre Heilung übernehmen als Menschen mit einer körperlichen Verletzung: Bei einem Beinbruch wird der Knochen dabei unterstützt wieder zusammenzuwachsen. Die Heilung können wir durch ein Röntgenbild dokumentieren.
Bei einer seelischen Erkrankung müssen wir selbst entscheiden was für unsere Heilung nötig ist. Das kann ein schwerer aber lohnender Weg sein. Ich bin ein gutes Beispiel dafür.
1. Meine Depression
Sie zwang mich dazu mich mit mir selbst zu beschäftigen. Ich habe ein Jahr lang mit einer Psychiaterin gearbeitet. Ich hatte keine schwere Kindheit und habe doch etliche Traumen mitgebracht. Wie so viele von uns.
2. Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
Ich habe die Posttraumatische Belastungsstörung hier aufgenommen weil viele Menschen darunter leiden, die nicht wissen, dass dies eine Ursache für ihre Probleme sein könnte.
Eine Posttraumatische Belastungsstörung entsteht durch schwere Unfälle, Gewaltverbrechen, Naturkatastrophen oder Kriege. Die Betroffenen haben Sterben und Tod, also sehr große Angst und Schutzlosigkeit erlebt.
Die typischen Symptome von PTSD treten manchmal erst lange nach dem Trauma auf:
- Erinnerungen zeigen sich in Tagträumen oder Flashbacks, nachts haben sie Angstträume
- Vermeidung von Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen
- Emotionale Stumpfheit und Teilnahmslosigkeit
- Schlafstörungen sind häufig
Wenn jemand unter derartigen Symptomen leidet, dann sollte er auf jeden Fall professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.
Methoden der Vergangenheitsbewältigung
Wir stellen uns unserem Schmerz, wenn wir uns mit unserer Vergangenheit auseinandersetzen. Wir sollten das am besten tun ohne uns zu überfordern.
1. Die Perspektive wechseln
Gerade für die Aufarbeitung von Beziehungen mit nahen Menschen – Familie, Kindern und Partnern – ist es wichtig Abstand zu den eigenen starken Gefühlen zu bekommen
In meiner Therapie konnte ich aus einer übergeordneten Perspektive auf meine Vergangenheit blicken, meine Verletzungen sehen und anfangen sie zu verstehen und zu heilen.
2. Therapeuten und Selbsthilfegruppen
Wenn ich merke, dass ich alleine nicht weiterkomme hole ich mir externe Hilfe.
3. Selbstdistanzierung
Es gibt Methoden, die wir auch alleine nutzen können um Abstand zu gewinnen:
- Die Vergangenheit aus der Perspektive einer Fliege an der Wand oder eines Teppichs auf dem Boden beobachten.
- Den Standpunkt von anderen Personen einnehmen: Zum Beispiel von den Eltern oder Geschwistern.
- Kontrolliert Erinnerungen zulassen: Eine Play- und Stopptaste so wie bei einem DVD-Player benutzen: Ich sehe mir eine Szene an und kann sie so oft abspielen wie ich will.
- Papier ist geduldig und das Aufschreiben mit der Hand bringt Klarheit. Das Geschriebene kann danach einfacher analysiert werden.
- Verhaltensbeobachtung im Alltag gibt wertvolle Hinweise: Wann reagiere ich über? Welche Situationen vermeide ich? Woran kann das liegen?
Es geht darum die eigenen Emotionen und den Schmerz begrenzt zuzulassen. Aus Verletzungen der Vergangenheit resultierende Verhaltens- und Denkmuster kannst Du so erkennen und damit auch verändern.
4. Akzeptiere Deine Vergangenheit
Unsere natürliche Reaktion auf Verletzungen ist Schmerzvermeidung: Auf die heiße Herdplatte fassen wir nur einmal. Wenn wir uns mit den schmerzhaften Seiten unserer Vergangenheit beschäftigen, laden wir Wut und Kummer ein und das ist eine Herausforderung.
Mein Akzeptanz-Prozess läuft so ab:
- Wahrnehmen, dass ein Problem aus der Vergangenheit anklopft
- Sich den Gefühlen und Assoziationen stellen
- Für Unterstützung durch Personen oder Methoden sorgen
- Die emotionale Aufladung wird mit der Zeit immer geringer
- Es setzt eine Entspannung ein, die sich in den Alltag überträgt
Je nach Thema dauert dieser ganze Prozess unterschiedlich lang. Das Wahrnehmen von etwas Unangenehmem ist nicht unbedingt meine Stärke.
Zum Akzeptieren Deiner Vergangenheit brauchst Du nur Dich selbst
Es geht hierbei in erster Linie um Dich. Du brauchst nicht das Gegenüber, das die Verletzungen verursacht hat, um Deine Verletzungen zu heilen. Deswegen kannst Du an Deiner Vergangenheit auch arbeiten, wenn Menschen gestorben sind oder mit ihnen momentan keine Kommunikation möglich ist.
So nicht!
Letztens meinte eine Klientin sie wollte mit ihrem Vater darüber sprechen, was er alles falsch gemacht hat. Das ist keine gute Idee. Schuldzuweisungen ernten nur Widerspruch und verhindern echte Kommunikation.
Klärungs-Gespräche mit Eltern sind sehr heikel weil auf beiden Seiten so viele Gefühle im Spiel sind.
Wichtig dafür ist eine klare Zielsetzung um nicht in gegenseitige Vorwürfe abzugleiten. Das hat noch mehr Verletzungen auf beiden Seiten zur Folge. Dazu braucht es viel Vorarbeit.
Ziel solcher Gespräche sind Informationen, die uns weiterbringen. Dabei ist zu beachten:
- In der Ich-Form bleiben
- Leistungen des Gegenüber anerkennen
- Hintergrundinformationen erfragen zum Beispiel über die Kindheit der Eltern
- Werte der Eltern nachvollziehen
5. Entscheidungen aus der Vergangenheit akzeptieren
Im Nachhinein bin ich immer schlauer. Wenn ich mich mal wieder im „Hätte und Wäre“ verstricke hilft mir folgender Satz: Damals habe ich mit den mir zugänglichen Informationen die beste Entscheidung getroffen. Das entlastet mich sehr.
6. Die Vergangenheit bewusst verändern
Unbewusst verändern wir unsere Vergangenheit mit jedem Erinnern und jeder Erzählung: Wir benutzen andere Worte oder beschreiben andere Details. Das können wir nutzen.
Unsere Wirklichkeit wird durch unsere Wahrnehmung erschaffen. Wenn wir mit unserer Vergangenheit Frieden schließen und sie akzeptieren verändern wir unsere Wirklichkeit.
7. Sich Kennenlernen
Je mehr wir uns mit unserer Vergangenheit auseinandersetzen umso besser lernen wir uns kennen.
Beispiel:
Eltern und Lehrer prägen unser Bild von uns. Zum Beispiel die berühmte Aussage: Das kannst Du nicht. Sie kann das ganze Leben beeinflussen.
Es ist wichtig festzustellen welche Glaubensüberzeugungen wir aus der Kindheit mitgenommen haben.
Wir sind die Schöpfer unserer Realität. Wir dürfen uns selbst definieren. Dafür brauchen wir den Frieden mit unserer Vergangenheit. Dann verliert sie ihre Macht über uns.
8. Unsere Stärken motivieren zum Weitermachen
Auf das zu achten, wo wir Probleme haben, wird uns von klein auf beigebracht. Das bedeutet Konzentration auf den Mangel. Aber wer möchte im Mangel leben?
Wir wären heute nicht da wo wir sind, wenn wir nicht diverse Schwierigkeiten gemeistert hätten. Darauf können wir stolz sein. Sich das immer wieder klar zu machen öffnet den Blick nach vorne.
Wir wollen und sollen die Fülle unserer Möglichkeiten nutzen und uns nicht durch Altlasten unserer Vergangenheit ausbremsen.
Wir brauchen unsere ganze Kraft, um mit den aktuellen Herausforderungen fertig zu werden. An unserer Vergangenheit festzukleben ist reine Energieverschwendung.
Um in unsere Kraft zu kommen müssen wir uns als Ganzes akzeptieren
Deswegen zeigen viele von uns sich gerade die Bereiche, die noch unsere Aufmerksamkeit brauchen. Also die Teile von uns, die wir am liebsten verstecken würden.
Ich weiß wovon ich spreche, denn ich bin gerade dabei meine vermeintlich dunklen Ecken gründlich auszukehren. Das ist nicht einfach, lohnt sich aber sehr.
Erstens sind wir nicht so furchtbar wie wir denken. Und zweitens mobilisiert die daraus resultierende Selbstakzeptanz unglaublich viel Energie.
Schau also lieber nach vorne. Dann wirst Du weniger stolpern. Du kannst Dich darauf verlassen, dass das, was aus deiner Vergangenheit noch zu klären ist im Jetzt auftaucht.
Ich unterstütze Dich gerne, wenn Du Hilfe brauchst.
Links
- Posttraumatischet Belastungsstörung: Symptome und Infos für Angehörige
- Laura Seiler Podcast Nr.41 : Wie Du Deine Vergangenheit loslassen kannst.
Buch
Franz Ruppert: Wer bin ich in einer traumatisierten Gesellschaft? Wie Täter-Opfer-Dynamiken unser Leben bestimmen und wie wir uns daraus befreien.
Bilder: Pixabay und Privat