Ich habe in meiner Praxis viel mit traumatisierten Menschen zu tun. Ich sehe, wie sehr wir durch unser Trauma beeinflusst sind. Individuell und als Gesellschaft.

Was ist ein Trauma?

Ein Erlebnis wird für uns zum Trauma, wenn wir direkt oder indirekt mit dem Tod in Kontakt kommen. Wir erleben etwas als lebensbedrohlich und werden dadurch überfordert. Achtung: Ein derartiges Ereignis kann aus der Sicht eines Erwachsenen eine Nichtigkeit sein. Heute würden wir mit der Situation gut klarkommen.

Unser Körper hilft uns, damit fertig zu werden, in dem er die Erinnerung und das damit zusammenhängende überwältigende Gefühl in zwei getrennten Gehirnhälften unterbringt und sie so entschärft. Damit schützt er uns. Das Trauma könnte unsere Persönlichkeit sonst in Stücke reißen.

Das erlebte Gefühl ist für die Traumatisierung entscheidend, nicht das objektive Ereignis.

Warum ist unser Trauma historisch?

Etliche Traumen, mit denen sich viele von uns auseinandersetzen, haben ihren Ursprung in der Zeit des 2. Weltkriegs.

1. Die Menschlichkeit ging im 2. Weltkrieg verloren

Töten führt immer zu Trauma. Frühere Kriege, das schließt den 1. Weltkrieg ein, wurden auf einem soliden Fundament von Stolz und Ehre geführt. Die Kriegsparteien waren davon überzeugt, für eine gerechte Sache zu kämpfen. Die Gegner wurden als Menschen geachtet. Die traumatisierten Soldaten waren in der Lage, sich nach dem Krieg wieder in die Gesellschaft zu integrieren.

Das war im 2. Weltkrieg anders. Da ging es mehr um Eroberung und Dominanz auf Seiten der Deutschen und Japaner, und um Verteidigung bei den Alliierten. Der Gegner wurde entmenschlicht. Der Holocaust war nur durch die vollständige Entmenschlichung der Juden möglich.

Die zurückkehrenden Soldaten schafften es nicht, sich wieder zu integrieren. Sie waren durch ihre Traumen getrennt – von sich und ihren Gefühlen. Sie isolierten sich und ihre Familien und gaben unbewusst ihr Trauma weiter. Das hat zwei traumatisierte Generationen von Kindern hervorgebracht.

2. Kinder waren nichts wert

Das sieht man daran, wie Kinder in dieser Zeit behandelt wurden. Kinder bedeuteten damals in erster Linie Mühe. Sie wurden erst als vollwertige Menschen angesehen, wenn sie produktiv waren.

Zwei Beispiele:

Die 93-jährige Großtante einer Freundin ist auf einem Bauernhof aufgewachsen. Sie erzählte ihr, dass der Arzt nur geholt wurde, wenn die Tiere krank waren. Tiere waren wertvoller als Kinder.

Ich erinnere mich an ein Buch über eine Familie aus dem mittleren Westen der USA, das Ähnliches dokumentierte. Dort bekam der Hofhund besseres Essen als die Kinder. Er hatte eine wichtigere Aufgabe.

Was passiert, wenn Kinder weniger wichtig sind als Vieh? Sie werden körperlich und emotional mit Füßen getreten. Sie werden wie Wegwerfware behandelt. Und sie erleiden durch die Art, wie mit ihnen umgegangen wird, Traumen.

Das Trauma von drei Generationen

66 bis 80-Jährige: Erste Generation: Sie bekamen das Kriegstrauma direkt ab und wurden nicht als Menschen wahrgenommen. Vermutlich 70 % von ihnen sind traumatisiert. Von diesen erinnern sich nur 30 % an das Vorgefallene.

50 bis 65-Jährige: Zweite Generation: Sie wurden weniger durch den Krieg traumatisiert, haben aber unter den massiven Traumen ihrer Elterngeneration gelitten.

25 bis 50-Jährige: Dritte Generation. Sie wurden von klein auf als Menschen angesehen und sind deswegen nur zu 30 % traumatisiert.

Traumen weitergeben, wie passiert das?

Kann ich ein Trauma weitergeben, wenn ich nicht weiß, dass ich eines habe? Ja.

Beispiel: Kinder schreien lassen

In Nazideutschland wurde propagiert, Kinder nachts schreien zu lassen. Man glaubte, das würde starke Menschen mit guten Lungen hervorbringen. So sind meine Eltern aufgewachsen. Sie haben das mit mir und meinen Geschwistern genauso gemacht. Das stand in jedem Lehrbuch und Ratgeber und wurde vom Kinderarzt empfohlen.

Dieses wiederholte Schreien-lassen hat viele von uns traumatisiert. Viele weitverbreitete Glaubenssätze haben hier ihren Ursprung:

  • Ich bin nicht wichtig
  • Wenn es mir schlecht geht, werde ich allein gelassen
  • Ich bin hilflos, egal was ich tue

Auch ich habe damit zu kämpfen. Neulich stellte ich fest, dass ich immer noch Angst davor habe, dass mein lieber Ehemann mich allein lässt, wenn es mir schlecht geht. Ich finde jede Menge Indizien dafür. Klar, denn meine Wahrnehmung erschafft meine Realität.

Beispiel: Prügel und Missbrauch

Meine Elterngeneration ist in der Schule und von ihren Eltern gezüchtigt worden. Das war normal. Unsere Normen haben sich zum Glück geändert. Trotzdem bleibt häusliche Gewalt ein Dauer-Thema. In Coronazeiten, wo viele Familien eng aufeinander saßen, sind die Zahlen wieder gestiegen.

Erlebtes Verhalten überträgt sich. Viele Kinder, die geschlagen wurden, drücken später ihre eigenen Aggressionen genauso aus.

Ein Trauma beeinflusst unser Verhalten

Der Körper schützt uns, indem er die Erinnerung und das Gefühl für das Trauma trennt. Auf diese Weise können wir damit leben. Trotzdem hat ein verstecktes Trauma Auswirkungen.

Wir bauen unser Leben sozusagen um dieses Erlebnis herum, auch wenn wir nichts davon wissen.

Wir entwickeln Verhaltensweisen, um ein verdecktes Trauma herumzuarbeiten. Dadurch sind wir handlungsfähig.

Beispiel: Du bist als Kind zur Strafe in den dunklen Keller gesperrt worden.

Folge: Du hast heute noch Angst im Dunkeln, was du dir aber nicht rational erklären kannst.

Beispiel: Ein Erwachsener hat dich als Kind wiederholt geschlagen.

Folge: Du hast heute noch Angst vor Menschen, die Ähnlichkeit mit den damaligen Tätern haben. Dieses Gefühl ist für dich unverständlich, weil der Kollege doch nett oder die Nachbarin harmlos ist, auf die du so stark reagierst.

Die Trauma-Energie ist noch da und hat Auswirkungen. Nicht umsonst kommen gerade so viele Traumen an die Oberfläche. Wenn wir diese Traumen bearbeiten und lösen, dann befreien wir nicht nur uns selbst davon und können andere Entscheidungen treffen , die besser für uns sind. Wir geben diese Energie auch nicht an andere weiter.

Wenn du dich um dein eigenes Trauma kümmerst, dann tust du der Welt also etwas Gutes.

Die Opfer werden zu Tätern, bleiben aber immer Opfer.

Einige meiner Klienten haben schwerste Misshandlungen und Missbrauch erlebt. Alle haben auch eine Täterseite an sich entdeckt. Das ist schlimm für sie. Opfer sein ist schon schambehaftet, Täter sein noch viel mehr.

Die meisten meiner Klienten haben den Missbrauch nicht direkt weitergegeben. Wenn sie aber darüber nachgedacht haben, dann tragen sie starke Schuldgefühle in sich.

Täter sein zeigt sich in gestörten Beziehungen zu sich selbst und anderen:

  • Wir behandeln uns selbst schlecht
  • Wir isolieren uns
  • Wir gehen toxische Partnerschaften ein

Wir drücken die Energie des Traumas immer wieder aus

Für mich haben sich die vergleichsweise harmlosen Traumen aus meiner Kindheit wie Gummibänder angefühlt. Ich habe mich von der Trauma-Energie wegbewegt und andere Entscheidungen getroffen. Dann, wenn ich glaubte, es endlich geschafft zu haben, ein für mich nicht zuträgliches Verhalten zu verändern, hat es mich wieder an den Ausgangspunkt geflutscht.

Das ist frustrierend. Wenn dir das auch passiert, ist es ein Indikator, dass du ein verdecktes Trauma bei dir im Spiel sein könnte.

Ein Trauma blockiert unsere Entwicklung

Trauma ist wie ein Gummiband, das uns daran hindert, weiterzukommen.

Dieses Gummiband kann ich nur lösen, wenn ich das Ereignis und Gefühl aus beiden Gehirnhälften im Rahmen einer Therapie wieder zusammenbringe. In der rechten Gehirnhälfte befinden sich die Trauma-Erinnerungen. Sie werden zusammen mit den Gefühlen in die linke Gehirnhälfte transportiert.

Das zerstört das Gummiband. Erst dann habe ich die Chance, mich bewusst für ein anderes Verhalten zu entscheiden.

Leider fängt die Arbeit dann erst richtig an. Ich muss mir der Auswirkungen, die mein Trauma in meinem Leben hat bewusst werden.

Ich empfehle diesen Prozess nicht alleine zu gehen und erfahrene Trauma-Therapeuten zu Rate zu ziehen.

2 Gummibärchen halten Händchen

Wie merkst du, dass du ein Trauma hast?

Meine Alarmsirenen gehen an, wenn ich merke, dass ich überreagiere. Da gibt es etwas, das angeschaut werden will. Das muss nicht zwingend ein Trauma sein, kann aber damit zusammenhängen.

Hinweise auf Traumen liegen oft in Extremen. Wenn du

  • Oft wütend bist
  • Ständig Schuldgefühle hast
  • Dich selbst gerne niedermachst
  • Dich wertlos fühlst
  • Ein überzogenes Ego hast
  • Narzisstisch veranlagt bist
  • Nur für die Karriere und Erfolg lebst

Dann könnte ein Trauma dahinterstecken.

Ein Trauma verursacht toxische Energien

Über Jahre hinweg können Traumen schwere körperliche Folgen haben wie Krebs oder Autoimmunerkrankungen. Es lohnt sich also, genau hinzusehen.

Trauma verursacht viel Leid

Unsere Welt sieht, meiner Meinung nach, heute so aus, weil wir über Generationen hinweg massiv traumatisiert wurden. Trauma trennt uns und macht uns einsam. Wir verletzen deswegen uns, unsere Erde, die Tiere und Pflanzen. Unsere Traumen sind bestimmt eine Ursache für unsere Wegwerfgesellschaft.

Hast du Fragen zu Trauma?

Fragst du dich, ob du ein Trauma haben könntest? Lass uns darüber reden. Rufe mich an für ein kostenloses halbstündiges Gespräch.

Buchtipps zu Trauma

  • Scotty Brampton: The Nature of Trauma (Umfassendes Traumakompendium in Englisch)
  • Franz Ruppert: Wer bin ich in einer traumatisierten Gesellschaft
  • Dami Charf: Auch alte Wunden können heilen
  • Peter Levine: Trauma-Heilung
  • Thomas Hübl: Kollektives Trauma heilen
  • Cornelia Kien, Angelika Heinkel: Kriegsenkel: Trauma erkennen, verstehen und heilen
  • Oprah Winfrey und Dr. Bruce Perry: Was ist dein Schmerz?

Hilfe gibt es hier:

Bilder: Dall-E und privat

©Inge Schumacher