Mitgefühl ist der Schlüssel zum Herzen von uns Menschen.

Helfen auf Augenhöhe ist die effektivste Unterstützung. Das praktiziere ich mit meinen Klienten in meiner Energiearbeit genauso wie in meiner ehrenamtlichen Tätigkeit in der Flüchtlingshilfe.

Durch mein ehrenamtliches Engagement habe ich in den letzten Jahren viel über das Thema Mitgefühl gelernt. In meinem englischen Blog ist dieser Artikel von mir erschienen: Show Compassion not Pity.

Flüchtlinge in Deutschland

Als 2015 die riesige Flüchtlingswelle Europa überrollte, nahm Deutschland innerhalb eines Jahres eine Million von ihnen auf. Dies wäre nicht möglich gewesen, wenn nicht Millionen Deutsche ihre Ärmel hochgekrempelt und unkompliziert geholfen hätten.

In meinem Viertel von Hamburg wurde eine von über 30 Erstaufnahmen eröffnet. Sie bestand aus Containern. Nach monatelanger Gegenwehr einiger Anwohner konnten im Frühjahr 2016 die ersten Flüchtlinge einziehen. Betrieben wurde das Camp von den Johannitern, die von Anfang an hervorragend mit uns Freiwilligen zusammengearbeitet haben.

Wir haben uns, wie so viele andere, einfach in die Arbeit gestürzt. Es dauerte eine Weile bis wir tragfähige Strukturen geschaffen hatten.

Meine Aufgabe war die Koordination der Bildungsgruppe für Erwachsene und ich unterrichtete mit 12 Kollegen regelmäßig Deutsch.

Was war das Problem?

Unsere Schüler kamen unregelmäßig und meistens zu spät. Viele schienen überhaupt kein Interesse daran zu haben Deutsch zu lernen. Die Flüchtlinge verhielten sich definitiv nicht so, wie wir es von ihnen erwarteten! Wir dachten, die Flüchtlinge machten etwas falsch – wir fällten ein Urteil. Wir waren enttäuscht und das wirkte sich negativ auf unsere Motivation aus.

Es dauerte eine Weile bis wir unsere Einstellung geändert hatten und die Ablehnung unseres Angebots nicht mehr persönlich nahmen.

Das heißt nicht, dass wir die Entscheidung, keinen Deutschkurs zu besuchen, die einige Flüchtlinge trafen, gut fanden. Wir lernten, dass es nicht in unserer Verantwortung liegt, dass alle, denen es unserer Meinung nach gut tun würde, unser Angebot auch wahrnahmen.

Ich habe darüber mit vielen anderen Freiwilligen gesprochen. Anscheinend müssen wir alle lernen, nicht die Verantwortung für etwas zu übernehmen, dass außerhalb unseres Verantwortungsbereiches liegt.

Was ist Mitgefühl?

Für mich bedeutet Mitgefühl in erster Linie Akzeptanz. Wenn wir Mitgefühl zeigen, drücken wir damit Verständnis und Zugewandtheit aus. Wir begeben uns auf die gleiche Ebene wie unser Gegenüber und vermitteln ihm, dass er wichtig ist. Mit Mitgefühl erschaffen wir also eine Atmosphäre von Gleichberechtigung. Wir sind auf Augenhöhe.

Das finde ich besonders wichtig, wenn ich über längere Zeiträume mit Menschen arbeiten, egal wo.

Was ist Mitleid?

Mitleid fühlen wir, wenn uns jemand Leid tut. Dann befinden wir uns aber nicht mehr auf der gleichen Ebene mit ihm, obwohl wir uns dessen oft nicht bewusst sind. Warum?

Drücken wir Mitleid aus, bewerten wir, was diese Person denkt oder tut. Das tun wir ganz automatisch. Implizit drücken wir damit aus, dass der andere seine Realität nicht gut genug erschafft und wir es besser machen könnten. Wir agieren nicht auf Augenhöhe.

Warum ist der Unterschied zwischen Mitgefühl und Mitleid so wichtig?

In der deutschen Sprache sind sich beide Begriffe sehr ähnlich. Die Gefahr sie als Synonyme zu verwenden ist daher groß. Der Unterschied zwischen Mitgefühl und Mitleid als Einstellung ist jedoch gewaltig. Wir drücken eine ganz andere Energie aus, je nachdem, ob wir aus Mitgefühl oder aus Mitleid heraus agieren. Die Energie, die wir ausstrahlen, wird wahrgenommen und es wird darauf reagiert, auch wenn wir uns dessen nicht bewusst sind.

Meiner Erfahrung nach reagieren Menschen viel offener, wenn ein Hilfsangebot mit Mitgefühl und Akzeptanz verbunden ist. Menschen, die bemitleidet werden, fühlen sich nicht angenommen.

Mitgefühl ist der Schlüssel zu unserem Herzen.

Strahle ich Mitleid aus, kann ich schwer effiziente Hilfe zur Selbsthilfe leisten, da ich nicht auf Augenhöhe mit meinem Gegenüber bin. Ich nenne das Ausdrücken von Mitleid die Mitleidsfalle.

Mitgefühl bei der Arbeit mit Flüchtlingen

Begegnungen auf Augenhöhe sind für mich die wichtigste Basis der gesamten Flüchtlingsarbeit. Ich passe auf, damit ich nicht mehr in die Mitleidsfalle tappe. Natürlich passiert mir das immer noch. Ich erinnere mich dann daran, dass mein Gegenüber nicht hilflos ist und genauso wie ich in der Lage ist, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.

Ich behandele die Flüchtlinge so wie ich auch behandelt werden möchte. Viele von ihnen sind unter schrecklichen Umständen geflohen und haben unglaubliche Abscheulichkeiten erlebt. Eine große Anzahl kämpft gegen Depressionen. Trotzdem sind sie ganz normale Menschen wie Du und ich und wollen auch so wahrgenommen werden.

Sie haben genauso viele Fehler, Vorurteile und Probleme wie wir. Und sie genießen es akzeptiert zu werden. Das Unterrichten und die vielen anderen Aktivitäten machten viel Spaß. Wir lachten viel und manchmal weinten wir auch gemeinsam.

Wir waren 3 Jahre in der Erstaufnahme tätig. Die Freiwilligen, die bis zuletzt aktiv und motiviert waren, sind diejenigen, die ihre innere Einstellung, angepasst haben und aus Mitgefühl heraus arbeiteten. Diejenigen, deren Erwartungen laufend enttäuscht wurden, waren schnell ausgebrannt und haben aufgehört.

Mitgefühl mit Menschen, die sich als Opfer fühlen

Wir waren sicher alle schon einmal in einer Situation, in der wir uns als Opfer gefühlt haben. In diesen Momenten haben wir keine Auswege gesehen und uns hilflos und ohnmächtig gefühlt. Manche Menschen erschaffen immer wieder unkomfortable Situationen. Hier kann man mit ehrlichem Mitgefühl sehr gut helfen.

Wie kann man Mitgefühl am besten ausdrücken?

Wichtig ist das Gegenüber wahrzunehmen. Oft hilft es, einfach nur da zu sein. Wir können eine Zeitlang zuhören. Wir können unser Gegenüber berühren oder in den Arm nehmen. Ich rate jedem, in einer solchen Situation seinen Impulsen zu folgen. Dazu gehört auch, nur dann Ratschläge zu geben, wenn man danach gefragt wird.

Wenn wir um Rat gefragt werden, ist es wichtig positiv und unterstützend zu sein. Also nicht zu sagen: „Das hast Du falsch gemacht“ oder „Dieses oder jenes solltest Du auf keinen Fall tun“. Man könnte seine Sätze beginnen mit „Ich würde wahrscheinlich…“ oder „Vielleicht könntest Du … probieren“. Das zeigt Respekt und lässt dem anderen Raum.

Ganz wichtig ist zu versuchen keine Erwartungen an das Verhalten der anderen Person auszudrücken. In der Art von: „Jetzt musst Du aber endlich in die Puschen kommen!“ oder „Das war total daneben!“ Das ist natürlich viel leichter gesagt als getan! Schließlich wollen wir, dass es unserem Freund, Familienmitglied oder Kollegen schnell besser geht. Wir sind es gewohnt, in einer solchen Situation Erwartungen zu generieren und zu transportieren. Damit drücken wir aber kein echtes Mitgefühl aus, sondern machen die andere Person klein.

Erfahrung mit Mitgefühl in meiner Praxis

Mitgefühl ist ein grundlegendes Werkzeug meiner Arbeit. Ich bin seit über 10 Jahren als Heilpraktikerin tätig und arbeite mit Energie. Mit Empathie und Mitgefühl stelle ich eine Beziehung zu meinen Klienten her. Dabei hilft mir, dass ich Menschen mag.

Am Anfang meiner Tätigkeit hatte ich Angst davor mit chronisch oder schwer kranken Menschen zu arbeiten. Ich bin in die Mitleidsfalle getappt und habe meine eigenen Ängste auf sie projiziert. Ich habe diese Menschen damit als hilflos und nicht als gleichwertig wahrgenommen.

Eine Freundin von mir, die Krebs im Endstadium hatte, hat mir sehr geholfen dies zu überwinden. Sie ermutigte mich mit ihr zu arbeiten und ich konnte einige ihrer Symptome lindern. So durfte ich herausfinden, dass die Arbeit mit ihr genauso faszinierend und erfüllend für mich war, wie die mit anderen Klienten. Und dass sie genauso fähig war, wichtige Entscheidungen für sich zu treffen wie jeder andere.

Wegen dieser Erfahrungen falle ich jetzt nicht mehr so leicht in die Mitleidsfalle, wenn Klienten eine besonders schlimme Zeit durchmachen. Dadurch kann ich mich viel besser auf meine Aufgabe konzentrieren und sie konstruktiv unterstützen.

Wir müssen zuerst für uns selbst sorgen

Wenn man mit Mitgefühl anderen Menschen helfen will, ist es sehr wichtig die eigenen Grenzen im Blick zu behalten. Dabei ist es egal, ob man als Freiwilliger arbeitet, hauptberuflich im Gesundheitswesen tätig ist oder zu Hause ein Familienmitglied pflegt.

In dem Moment, in dem wir unsere eigenen Grenzen vergessen, erschaffen wir Probleme. Was passiert z.B. wenn wir zu lange den immer gleichen endlosen Klagen zuhören? Früher oder später haben wir so die Nase voll, dass wir dem anderen Menschen die Schuld daran geben, dass wir uns unwohl fühlen.

Dabei sind wir natürlich selbst verantwortlich für dieses Unwohlsein. Das ist nicht die Schuld unseres Gegenübers. Er drückt sich nur aus und es liegt in unserer Verantwortung uns ebenfalls auszudrücken. Wenn wir anfangen uns unwohl zu fühlen, sollten wir das Thema wechseln, weg gehen oder auf nette Art und Weise versuchen mitzuteilen, dass dieses Gespräch zu nichts führt.

Wir sind genauso wichtig  wie unser Gegenüber. Die Person, die am besten für uns sorgen kann, sind wir selbst. Nur wenn wir unsere eigenen Grenzen respektieren, sind wir in der Lage bei nächster Gelegenheit wieder für jemanden da zu sein.

Mitgefühl ist der Schlüssel zur Integration

In meiner Wahrnehmung hat sich in Deutschland seit der Flüchtlingskrise viel verändert. Ohne die vielen Helfer wäre unser Sozialsystem in die Knie gegangen. Ich war positiv überrascht: Ich hätte diese langfristige Hilfsbereitschaft uns Deutschen nicht zugetraut.

Die Erstaufnahme in meinem Stadtteil wurde Ende 2018 aufgelöst, die Container sind abgebaut und ein neues Wohngebiet entsteht. Wir stehen dann vor der nächsten riesigen Aufgabe: Der Integration. Integration wird am besten funktionieren, wenn wir weiterhin auf Augenhöhe mit den Flüchtlingen arbeiten und unsere eigenen Grenzen dabei nicht aus den Augen verlieren.

Gemeinsam haben wir Deutschen ein neues Kapitel in unserer Geschichte aufgeschlagen, das Kapitel des Mitgefühls.

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© Inge Schumacher

Bilder: Pixabay und Privat, überarbeitet 27.12.21