„Ich habe keine Erwartungen“, höre ich oft: Von meinen Klienten, meinen Kindern und von mir selbst. Erwartungen haben wir alle. Wir sind uns dessen nur nicht bewusst.

Erwartungen sind überall

Drösele ich eine Situation auf, die schief gelaufen ist, dann finde ich enttäuschte Erwartungen auf allen Seiten.

Was sind Erwartungen?

Wir alle haben Vorstellungen davon wie etwas laufen soll. Probleme gibt es dann, wenn andere diesen Vorstellungen nicht entsprechen. Dann sind wir enttäuscht und frustriert. Und das führt zu Konflikten.

Wenn wir uns bewusster werden, wo überall Erwartungen versteckt sind, können wir viel für unsere Zufriedenheit tun.

Wo gibt es Erwartungen?

Erwartungen haben wir in allen Lebensbereichen. Dort finden sich genauso viele Erwartungen an uns. Das birgt viele Möglichkeiten für Konflikte.

  • Privatleben
    • Familie
    • Freunde
  • Berufsleben
    • Kollegen
    • Vorgesetzte
  • Öffentlichkeit
    • Verkehrsmittel
    • Sport

Erwartungen identifizieren und loszulassen ist schwierig

  • Wir haben von unseren Eltern gelernt, auf Erwartungen, die oft unausgesprochen sind, automatisch zu reagieren.
  • Wir haben uns daran gewöhnt zu erwarten, dass unseren Erwartungen entsprochen wird.
  • Wir lernen durch die vielen Enttäuschungen nicht und geben einfach anderen die Schuld.

Signalwörter für das Aufdecken von Erwartungen

Wenn Du diese Wörter vehement sagst oder hörst, das heißt mit einem Ausrufezeichen (!), dann sind bestimmt Erwartungen im Spiel, die hinterfragt werden können.

  • Sollen (Du sollst doch nur….!)
  • Müssen (Du musst doch verstehen, dass…!)
  • Aber (Aber, man muss doch…!)
  • Doch (Es ist doch klar, dass….!)

Das verallgemeinernde „man“ versuche ich wegen der vielen damit verbundenen Erwartungen ganz aus meinem Wortschatz zu streichen.

1. Beispiel: Mülltrennung

Ich habe die Erwartung, dass meine Familie den Müll trennt. Ich mache es ihnen seit Jahrzehnten vor und trotzdem wird diese Erwartung oft enttäuscht:

  • Wenn der beste aller Ehemänner keine Lust hat, dann wandert eine Verpackung in den Restmüll
  • Meine Kinder schützen Unwissenheit vor und schmeißen alles durcheinander

Das macht mich wahnsinnig!

Ich habe es mit Erklärungen versucht und mit Schimpfen. Das hat überhaupt nichts gebracht außer, dass wir alle total genervt waren.

Irgendwann habe ich mich mit meinem Mann hingesetzt und das Thema seziert. Rausgekommen ist:

  • Ich hätte den Müll gerne ordentlich getrennt.
  • Meine Familie hat keinen Bock sich gängeln zu lassen.

Jetzt sortiere ich den Müll hinterher, wenn es mich stört. So herrscht in Sachen Mülltrennung bei uns endlich Ruhe. Das ist angenehm.

2. Beispiel: Verlässllichkeit

Wenn ich etwas verspreche versuche ich das auch zu tun. Wenn ich es nicht schaffe, dann sage ich Bescheid. Verlässlichkeit ist ein wichtiger Wert für mich. Ich erwarte automatisch, dass mein Umfeld das genauso sieht.

Oft sagt meine Familie mir Sachen zu, die sie nicht einhalten. Das tut mir weh, weil meine Erwartungen enttäuscht werden. Ich stelle dann meinen Wert in Frage: Warum bin ich ihnen nicht wichtig genug, dass sie das tun was sie mir versprochen haben?

Sie verknüpfen diese beiden Punkte aber nicht. Ich bin für sie wichtig, egal ob sie sich an meinen Wert halten oder nicht.

Eine Zeitlang habe ich vermieden, dass meine Erwartungen enttäuscht werden indem ich Vieles alleine gemacht. Das war aber keine Dauerlösung. Ich übe, mir meiner Erwartungen bewusster zu sein und diese so gut wie möglich loszulassen.

Die eigenen Werte leben           

Das Beispiel zeigt, dass ich automatisch von meiner Familie erwarte, dass sie meine Werte lebt. Ich bin enttäuscht, wenn sie das nicht tun. Dabei weiß ich sehr gut, dass jeder eigene Werte hat und diese auch leben darf.

Strategien um mit Erwartungen umzugehen:

1. Bewusst-werden welche Erwartungen eine Rolle spielen

Auch heute noch fällt es mir oft schwer herauszufinden welche offenen und verborgenen Erwartungen in einer Situation eine Rolle spielen. Da helfen nur Aufmerksamkeit und Übung.

2. Kommunikation

Beispiel Wahlmöglichkeiten offen halten:

Ich will den Plastikmüll unserer Großfamilie reduzieren. Ich beziehe alle mit ein: Wir starten ein Experiment ohne Zwang. Ich übe also keinen Druck aus. Das finden die Familienmitglieder mehr oder weniger spannend. Zumindest stört es keinen.

Wir haben mittlerweile festes Shampoo, Spülung und Körperseife ausprobiert und eingeführt. Nur ein Mitglied meiner Familie ist noch nicht überzeugt. Das ist ein gutes Ergebnis. Ich hatte keine Erwartungen und bin positiv überrascht wie leicht das war.

3. Ruhig bleiben

Ich versuche ruhig auf meine Anliegen aufmerksam zu machen.  Ich benutze dann Ausdrücke wie: „Mir ist wichtig, dass…“.

Selbst wenn sie es nicht nachvollziehen können, sind meine Lieben so eher geneigt, mich zu unterstützen. Umgekehrt ist das genauso.

Was passiert, wenn wir meckern?

Wir senden aus: Unser Gegenüber ist nicht richtig und nicht genug.

Wer reagiert schon positiv auf eine Herabsetzung? Warum erwarten wir eigentlich, dass wir damit etwas erreichen?

Und trotzdem versuche ich immer wieder meine Erwartungen mit Meckern durchzusetzen. Ohne Erfolg natürlich.

Umgehen mit Erwartungen, die an mich herangetragen werden

Wenn ich merke, dass Erwartungen mitschwingen, die mir nicht klar sind oder denen ich nicht entsprechen möchte frage ich nach.

1. Kinder

Ich frage jetzt häufiger: Was erwartest Du genau von mir? Oft wissen sie es selber nicht. Sie haben nur das diffuse Gefühl, dass Mama alles gut machen soll.

2. Erwartungen in der Partnerschaft

Mein Mann reagiert bei Druck von Erwartungen schnell mit Ablehnung. So hat er unseren 20-jährigen Hochzeitstag  ignoriert, was mir sehr wehgetan hat.

Als ich mit ihm ohne Aggressionen darüber sprechen konnte, erklärte er mir, dass er keinen Bock auf dieses geplante Feiern hat. Leider hatte er das nicht kommuniziert, denn das kann ich verstehen.

Seitdem habe ich unsere Hochzeitstage alleine gefeiert. Und das ging richtig gut. Ich begehe den Tag alleine für mich und denke an die Jahre zurück, die wir gemeinsam verbracht haben. Das ist mir wichtig und das kann ich gut alleine. Ich musste nur die Glaubensüberzeugung über Bord werfen, man könne Hochzeitstage ausschließlich als Paar feiern.

Geburtstagspicknick im Februar an der Ostsee. Ja, das geht!
Unser Picknick im Februar 2016 an der Ostsee

3. Erwartungen an mich selbst

Probleme habe ich immer noch mit den Erwartungen an mich selbst. Ich habe schon viel Arbeit geleistet. Leider gibt noch jede Menge zu tun. Woher ich das weiß? Ich bin immer noch zu oft unzufrieden mit mir selbst.

Was ich in Bezug auf enttäuschte Erwartungen gelernt habe

Die wenigsten Menschen wollen mir vorsätzlich wehtun. Sie haben nur andere Prioritäten oder Werte.

Sind wir auf dieser Erde, damit anderen unseren Erwartungen zu entsprechen?

Wir sind hier um uns kennenzulernen, damit wir täglich unsere Realität optimal erschaffen können.

Warum ich Experimente liebe:

Mit Experimenten trickse ich meinen Erwartungen aus und habe auch noch Spaß. Denn: Experimente haben kein vorher festgelegtes Ergebnis.

Frei von Erwartungen macht offen für Überraschungen

Je mehr ich es schaffe, meine einengenden Erwartungen loszulassen, umso öfter werde ich positiv überrascht.

Wie das geht? Ich formuliere ein Ziel und starte erste Aktionen. Meist sind irgendwann andere Menschen involviert. Die festen Erwartungen an sie fahre ich deutlich herunter.

Sie bringen sich auf ihre eigene Art und Weise ein und helfen mir mein Ziel zu erreichen. Manchmal geschieht das ganz anders als ich es mir hätte vorstellen können. Ich habe Spaß und bin im Flow.

Seite aus meinem Kalender - voll von Homeschooling.

Mein Kalender im Februar 2021 ist geprägt von den Video-Terminen meines Sohnes und seinen Hausaufgaben. Noch vor einem Jahr war dies undenkbar. Das Homeschooling ist ein gutes Beispiel, wie wenig Sinn Erwartungen machen.

Was sind Deine Erfahrungen mit Erwartungen?

Bilder: Privat und Pixabay

©Inge Schumacher