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Positiv denken ist zu einfach

Ich rege mich auf, wenn ich schon wieder höre und lese: „Bloß keine negativen Gedanken oder Gefühle zulassen! Das ist schädlich.“ Dieser Artikel ist ein Plädoyer dafür auch das Negative wahrzunehmen.

Jemand erzählte mir von einem Unfall mit einem Lächeln und dem Ausspruch alles wäre gut. Instinktiv  dachte ich: Da stimmt etwas nicht: Das war doch schlimm! Warum dieses Lächeln und die, wie ich empfand, krampfhaft positive Darstellung?

Unsere Realität ist keine Utopie

Wir leben in einer Welt, in der Unfälle passieren und Menschen dabei zu Schaden kommen. Täglich sehen wir Bilder von Krankheit, Leid und Krieg. Das gehört leider zu unserem Leben dazu. Das sollten wir nicht unter den Teppich kehren.

Ich fühle mich als positiver Mensch und habe auch schlechte Tage. Dann geht es mir nicht gut. Das muss ich nicht schönreden. Ich habe gelernt dazu zu stehen und schimpfe auch mal wie ein Rohrspatz, wenn ich sauer bin. Das ist normal, oder?

Wir erleben Positives wie Negatives

Was ich selbst übe und auch meinen Klienten nahe bringe ist genaues Hinschauen statt blinden positiven Denkens. Alles mit einem: Alles ist gut abzutun ist genau das: Abtun und nicht hinsehen. Sich der Realität nicht stellen. Damit machen wir uns etwas vor.

Wir etablieren dadurch einen Automatismus des Wegschauens, des sich nicht Auseinandersetzens. Das bewusst durch den Alltag gehen und Informationen über sich sammeln fällt hinten runter.

Wir verstecken die Dinge, die uns wehtun dann unter einem positiven Anstrich. Das war das, was mir bei dem Gespräch über den Unfall nicht gefallen hat. Es war nicht authentisch.

Auch das Negative will gesehen werden

Ich versuche realistisch zu sein. Wenn etwas schief geht, dann merke ich: Da gibt es eine Baustelle. Dann erst kann ich etwas daran ändern. Wenn ich die Baustelle hinter einem positiven Anstrich verstecke, dann falle ich immer wieder darüber und es ändert sich nichts. Einseitiges positives Denken würde einen wichtigen Teil meiner Realität verdecken.

Wenn mir etwas weh tut, das Auto nicht anspringt oder der Schlüssel mal wieder verschwunden ist, dann darf ich mich ärgern. Das negative Gefühl darf von mir gefühlt werden. Es ist ein Signal. Ich muss aber nicht unbedingt darauf reagieren.

Das Unterdrücken von negativen Gefühlen ist keine gute Idee. Ich füttere so meine unterirdischen Gefühlsdepots und erschaffe später eine Explosion: Irgendwann kommt alles in einem großen Schwall wieder raus.

Das habe ich auf die harte Tour gelernt. Früher habe ich meine vermeintlich schlechten Gefühle weggeschlossen. Dann spürte ich sie nicht mehr. Das war aber nur eine vorübergehende Lösung. Denn die Gefühle waren trotzdem da und beeinflussten mein Leben. Das merkte ich aber erst, wenn es zu spät war. Irgendwann kam es zur Explosion.

Dann gab es Kollateralschäden und die Leute, die das Pech hatten dann um mich herum zu sein, bekamen dann die geballte Gefühlsladung ab. Dabei waren sie nur zur falschen Zeit am falschen Ort.

Früher verstand ich solche Ausbrüche nicht. Woher kamen die? Ich erkannte irgendwann: Die Ursache stand in keiner Relation zum Anlass der Ausbruchs. Das war nur der Tropfen, der das Überlaufen verursacht hat. Die Ursache versteckte sich woanders.

Da hinschauen wo es wehtut

Alle, die – wie ich – auf dem Weg sind bewusster durch den Alltag zu gehen wissen, dass es uns nicht weiterbringt Negatives auszublenden. Wenn ein Thema dran ist, fällt es mir so lange vor die Füße bis ich es mir endlich anschaue.

Beispiel

Eine Klientin, die ich ein Jahr lang während ihrer Krebserkrankung begleitet habe, hat Großes geleistet. Sie ist gesund – gegen jede Statistik. Erst die Arbeit an ihren Traumata und Verletzungen machte das möglich. Ich kannte sie schon vor ihrer Krebserkrankung.

Sie war eine dieser immer lächelnden positiven Menschen. Das war eine Fassade, hinter der sich schlimme Erlebnisse versteckten, die sie krank machten. Vieler dieser Verletzungen war sie sich vorher nicht einmal bewusst. Jetzt ist ihr Optimismus echt.

Meine Erkenntnis: Mehr negative Gefühle warten auf Entdeckung

Ich habe gerade das Buch von Gabor Maté: Wenn der Körper Nein sagt, gelesen. Maté hat unzählige Interviews mit Patienten geführt und die seelischen und sozialen Zustände beleuchtet, die eine Rolle in deren Krankengeschichte spielten. Immer wieder weist er auf unterdrückte negative Gefühle als die Ursache für viele Krankheitsbilder hin.

Ich fühlte in mich hinein, ob und wo ich noch Gefühle verstecke. Ich hatte das intuitive Wissen, dass es noch welche gibt und es sich lohnen wird danach zu forschen.

Ehe ich mich versah bekam ich einen Stups: Meine Ursprungsfamilie hat mich verletzt. Das tat weh. Ich wurde sauer und merkte wie ich diese negativen Gefühle wegpacken wollte. Und sagte: Stopp. Was passierte da gerade?

Am nächsten Tag wachte ich mit Rückenschmerzen auf. Das war die Motivation, die ich brauchte um gründlicher hinzusehen. Zum Glück war Wochenende und ich hatte genug Zeit und Ruhe zum Forschen.

Ich schaute dahin, wo es wehtat. Ich ging meine Kindheit durch, gefühlt zum hundertsten Mal, mit dem klaren Ziel diese unterdrückten Gefühle zu lokalisieren und mir anzusehen.

Mein Mantra in diesen Tagen war: Ich habe ein Recht darauf wütend zu sein. So habe ich mir immer wieder die Erlaubnis gegeben, meine negativen Gefühle herauszuholen und mir anzusehen. Das hat erstaunlich gut funktioniert.

Besonders interessant fand ich den Glaubenssatz, dass ich nicht sauer auf meine Geschwister sein durfte. Sie waren meine Verbündeten und mit ihnen durfte ich es mir nicht verderben.

Es gab noch weitere Behälter, in denen Gefühle ausgelagert waren. Ich durfte zusehen wie sich diese langsam in Luft auflösten. Das war das erste Mal, dass ich so etwas bei vollem Bewusstsein hinbekam. Das war faszinierend und sehr anstrengend. Ich wurde zwar unendlich müde, meine Rückenschmerzen waren aber weg.

Arbeit an schwierigen Themen

Normalerweise nutze ich mein Unterbewusstsein, wenn ich an schwierigen Themen arbeite. Ich setze eine Intention und mein Unterbewusstsein macht sich dann an die Arbeit und trägt Stück für Stück die Informationen zusammen, die ich brauche. Das ist eine gute Art an mir zu arbeiten ohne mich zu überfordern.

Positiv zu sein bringt nicht weiter

Wenn ich versuchen würde alles nur positiv zu sehen würde ich in meiner Entwicklung stecken bleiben. Nur wenn ich in der Lage bin, dahin zu schauen wo es wehtut, ist Veränderung möglich.

Ich weiß mittlerweile: Meine negativen Gedanken und Gefühle sind nicht böse. Sie sind Ausdruck meiner Realität und enthalten wichtige Informationen, die ich mir anschauen darf.

Meinst Du, bei Dir gibt es auch versteckte Gefühle, die dran sind angeschaut zu werden? Ich bin sicher noch nicht am Ende meiner diesbezüglichen Entdeckungsreise. Ich merke, wie mir jeder Schritt, der mir hilft alles anzuschauen was mich ausmacht mehr Freiheit und mehr innere Sicherheit gibt.

Brauchst Du Unterstützung? Ruf mich an. Ich schenke Dir eine halbe Stunde.

Dieser Artikel ist in der Blognacht meiner Lieblingsblogflüsterin Anna Koschinski entstanden.

Bilder: Privat

Gabor Maté (2019) Wenn der Körper Nein sagt. Wie verborgener Stress krank macht und was wir dagegen tun können.

© Inge Schumacher

8 Kommentare

  1. Anna Koschinski

    Wunderbar, liebe Inge – dieser Artikel ist so wichtig für uns alle! Denn auch ich finde dieses „heile-Welt-Getue“ wirklich gefährlich. Ich bin Optimistin und ich sehe in den negativen Erlebnissen immer auch das Positive. (Es ist ein Spiel: „Was ist das Gute daran?“) Aber ich sage dann nicht, dass alles tutti ist. Es darf wehtun, es darf nerven, es darf traurig sein, es darf mich umhauen, es kann mich wütend und verletzlich machen. Gleichzeitig frage ich mich aber eben immer, was ich daraus lernen kann, was es mir mitgeben will. Lektionen in Demut, wie es Thomas D. formuliert hat.

    Schön, dass du wieder bei meiner Blognacht dabei warst! 🙂

    • Schumacher

      Danke Anna,

      ich kann verstehen, wenn Leute aufhören sich die Nachrichten anzusehen. Corona Nachrichten habe ich auch irgendwann boykottiert. Das roch zu sehr nach Panikmache. Da wollte ich nicht einsteigen. Trotzdem gehören für mich Tagesnachrichten dazu.
      Herzliche Grüße Inge

  2. Janine

    Liebe Inge,
    vor ein paar Tagen habe ich einen Spruch gelesen: Gefühle, die wir ignorieren, gehen in den Keller und lernen boxen.
    Auch ich bin ein positiver Mensch, hab mich lange mit lösungsfocusierung befasst, auf meinem Arm steht ‚Focus On the good‘ und alle kennen mich als positiver Mensch, der alles wuppt, immer gute Laune hat und andere motiviert. Die letzten beiden Jahren waren ein Augenöffner für mich. Sie haben mir gezeigt, wie wichtig es ist, den Schmerz zu sehen, die Neins des Körpers zu hören, hinzuschauen, zu lernen, dass ich mich nicht verstecken muss, wenn es mir nicht gut geht. Das ist kein leichter Weg, denn ich merke, wie tief verwurzelt dieser ‚Gedanke‘ ist, wenn ich nicht glücklich bin, dann stimmt etwas nicht mit mir. Und ich beobachte immer wieder- bei mir – bei anderen – wie wir kämpfen und es zur Seite schieben wollen, statt zu akzeptieren, dass es menschlich ist. Danke für Deinen Artikel.

    • Schumacher

      Liebe Janine,
      Toller Spruch, den merke ich mir! Und so wahr.
      Bei mir ist es auch ein Prozess. Vor ein paar Jahren hatte ich die für mich augenöffnende Erkenntnis: Meine Schwäche ist eine Stärke. Das versuche ich mir immer wieder klar zu machen.
      Herzliche Grüße Inge

  3. Carmen A.J. Teemer

    Liebe Inge.
    Ganz sicher habe auch ich noch versteckte Gefühle. Manchmal sind diese zu schmerzhaft und ich schiebe sie tatsächlich nochmal weg.

    Ich habe die Erfahrung gemacht, wenn ich mich überrollen lasse von meinen Gefühlen, dass ich sie direkt verarbeiten kann. Auch wenn es in diesem Moment sehr schmerzhaft ist. Ich gehe immer gestärkt aus dieser Konfrontation. Aber es ist natürlich auch Tagesform abhängig. Was kann ich gerade ertragen, was kann ich zulassen?

    Danke für deinen wertvollen Text.

    Liebe Grüße, Carmen.

    • Schumacher

      Liebe Janine,
      danke fürs Teilen. Mutig von Dir und dass es was bringt kann ich gut an Deinen Blogartikeln sehen!
      Herzliche Grüße
      Inge

  4. Edith Leistner

    Liebe Inge,
    vielen Dank dafür, dass du das in Worte fasst, was manchmal fast nicht in Worte zu fassen ist. Mir ging es früher genauso. Irgendwann habe ich dann folgendes Bild gebraucht. „Ich bin wie ein Topf voller Wasser. Der wird manchmal erhitzt und dann kocht das Wasser. Wenn dann jemand den Deckel auf den Topf macht, kann es sein, dass der ihm um die Ohren fliegt.“ So achte ich mit den Jahren immer mehr darauf, dass „das Wasser zwar immer schön war ist, aber der Deckel möglichst wenig Unheil anrichtet, wenn der Topf geschlossen wird.“ Also mache ich es wie du, ich nehme mir manchmal auch (die nötige) Auszeit.
    Liebe Grüße von Edith

    • Schumacher

      Liebe Edith
      danke für Deinen Input. Ich mag Dein Bild mit dem Topf auf dem Herd. Du hast am Herd einen Regler, den Du benutzen kannst.
      Herzliche Grüße Inge

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